Heiner der Entenvater
oder die Vertreibung

Es war einmal ein Ententeich, auf dem ein bunter Enterich mit seinem Entenklein lebte. Er schnatterte leise, wenn das Entenklein zu weite Kreise zog. Und er schnatterte laut, um die Entenmütter vom Rundflug zurück ans Ufer zu locken, wo unter den niedrig hängenden Büschen neue Nester gebaut werden mussten.

Er war immerzu fröhlich und nur einmal verärgert, nämlich als er in einer Zeitung las, er solle sich gefälligst Erpel nennen. Das konnte der Enterich nicht leiden. Schließlich hieß er Heiner, und das gefiel ihm viel besser.

Weiter gab es aber keinen Kummer. Wie sollte es auch, da doch auf dem Grunde des Teiches so viel Schönes entdeckt werden konnte. Alle Enten waren den lieben langen Tag damit beschäftigt, den Schnabel bis zum Hals in den Schlamm zu bohren, wieder Luft zu holen und sich gegenseitig zu erzählen, was man gefunden hatte. Wenn es kein Wurm war, dann doch immer ein Stückchen Weisheit dieser Welt. Was konnte es Schöneres geben?

Eines Tages aber brachen Männer in das Ufergebüsch, dass es nur so krachte. Sie ließen die Arme kreisen, als wollten sie fliegen lernen, zeigten dahin und dorthin und stritten sich laut. "Das gehört jetzt alles mir, und ich bestimme, was gemacht wird!" sagte der eine. Die anderen redeten nur immer aufgeregt durcheinander, so dass man nichts davon verstehen konnte.

Der Enterich Heiner ahnte nichts Gutes für sich und sein Entenklein. Und weil für ihn alles Heil im Schlamm steckte, tauchte er wieder und wieder, bis ihm die Puste ausging, ohne einen Rat zu finden. Alle Weisheit der Welt hätte ihm nichts helfen können. Da machte er einen Flug zum Schwanenteich, um sich bei seinem Onkel Höckerschwan Rat und Hilfe zu holen.

Beinahe wäre er am Schwanenteich vorbei geflogen, so sehr war dieser verändert worden. Schnurgerade seine Ufer, mit steinernen Mauern eingefasst und Kiesel auf dem Grund. Sein Onkel Höckerschwan schwamm traurig in einer Ecke und musste sich von den Brotkrumen ernähren, die ihm die Leute zuwarfen. Und die Flügel hatte man ihm gestutzt, so dass er nicht davonfliegen konnte.

Heiner landete, die Leute am Ufer bekamen ein paar Spritzer ab und gingen schimpfend davon. "Was wird aus dir werden, wenn das Eis kommt?" fragte der Enterich besorgt. Onkel Höckerschwan ließ den Kopf hängen und wusste keine Antwort.

Heiner wagte nicht, von seine eigenen Sorgen zu erzählen. Er tauchte, um sich für den Rückflug zu stärken, fand aber nur Kieselsteine und musste mit knurrendem Magen nach Hause starten.

In der kommenden Nacht schlief die Entenschar sehr schlecht. Alle schnatterten leise vor sich hin, tauchten im Traume und suchten vergeblich einen Rat. Der Mond wusste zwar Bescheid, aber er konnte ihnen nicht helfen.

Als die Sonne aufging, kamen die Männer mit großen Sägen, Scheren und einem schredderndem Ungetüm zurück. Sie zogen am vorderen Ende des Teiches die Bretter aus dem Wehr, um das Wasser abfließen zu lassen. Dann machten sie sich über die Büsche her. Der Enterich ahnte, dass wohl auch der Schlamm, die Quelle aller Weisheit, nicht mehr lange da sein würde.

Die Entenschar war vor Schreck mucksmäuschenstill. Schnattern hätte sie nur verraten. Zu fliegen getrauten sie sich auch nicht. Am flachen Ende des Teiches watschelten Heiner, die Entenmütter und alles Entenklein im Schutz des hohen Grases in die Wiese hinein, immer der Sonne entgegen. Und wenn sie keinen anderen alten Ententeich gefunden hätten, wer weiß.


Aus UncleSiggs Geschichten 2003
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