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Uncle Siggs kleine Politik-Stunde

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Die Leute und die Liste

Dresden, den 14. Juli 2006
Veröffentlicht SZ am ?????

 


Die Leute und die Liste

Es war von vorn herein eine Schnapsidee, ein bewohntes und bewirtschaftetes kilometerlanges
innerstädtisches Gebiet auf eine „Liste" des Weltkulturerbes zu bringen - in eine Reihe mit Wüsten-Pyramiden, einem Grand Canyon, einer verlassenen Inkastadt und einem Krater in Tansania. Den Loschwitzern wurde eilig erklärt, dass man sich davon sowieso keine (finanziellen) Vorteile erhoffen sollte. Allerdings hatte der Blick auf die Elbhänge nun plötzlich musealem Wert. Wir verbrachten ein ganzes Leben dort. Generationen vor uns hatten den Höhenzug geschmackvoll ausgebaut, inclusive einiger Schlösser. Originelle Stadtviertel entstanden und eine brillante Brücke, die das Flusstal nicht zerschneidet, sondern überbrückt, um Blasewitz und Loschwitz zu verbinden - und das alles ganz ohne einen „Titel" auf einer „Liste". Die Stadtkerne von Bamberg, Stralsund und Wismar mögen sich wohl fühlen auf der „Liste", Brücke soll ja keine gebaut werden. In Regensburg schon, in Stralsund ist man gerade dabei.....

Die Dresdner Hanggegend hatte nach der Wende einen großen Aderlass hinzunehmen, weil Alteigentümer ihre Besitzrechte so wahrnahmen, dass Scharen von Einwohnern davonziehen mussten. Die Klagen des Loschwitzer Pfarrers und der Heimatbewussten aufm Weißen Hirsch standen in der Zeitung. Diese Ausdünnung der Bewohnerzahl mag manchem Fassadenfetischisten und Verfechter von Blickbeziehungen ins Konzept gepasst haben - wer nicht dort lebt, kann nichts mehr bauen. Die Berglage der halbleeren Gebäude wurde in Zeitungsanzeigen als „Herrschaftliches" und „Fürstliches" Wohnen feilgeboten. Und so schien es einigen gar angebracht, das ganze Gebiet den unveränderbaren Erbschaften der Weltkultur hinzufügen zu müssen. Der Titelkampf war erfolgreich. Der „Titel" wurde verliehen. Mit ganz neuem Stolz würde man nun die herbei eilenden Japaner empfangen können, die allerdings nichts weiter im Sinne haben, als die Auslöser ihrer Digi-Kameras klicken zu lassen - evtl. kaufen sie ein Ticket für die Schwebebahn. Sind eigentlich die Stadviertel für die Stadtbewohner da oder für die zufällig des Weges kommenden Touristen? Und was bringt so ein Listenplatz den Leuten? Gut, für die zahlreichen visuell gepolten Dresdner ist das Erblicken von Altgewohntem eben ihr ein und alles.

Nun sollten noch die Johannstädter mit dem Waldschlößchenviertel verbunden werden. Schon ein paar Mal war im vergangenen Jahrhundert Anlauf genommen worden, diesmal hätte Ernst gemacht werden können. Vor allem das Geld für die Bauarbeiter steht bereit. Jedoch - die Verblüffung ist groß - eine neue Brücke wäre ja nicht unsichtbar wie ein Tunnel, man würde sie leider sehen können! Und sie würde die beiden Elbufer keineswegs verbinden, sondern das Tal zerschneiden! Und vor allem die weißhaarige alte Dame spricht in die Kamera, sie brauche diese Strecke überhaupt nicht! Herr Blobel in USA und alle übrigen Amerikaner auch nicht! Na fein. Da ist ja alles klar zum Gang zur Unesco, dessen Komitee mit scharfen Kriterien, wie "Einzigartigkeit" und "Authentizitäät" (historische Echtheit) einer Kulturstäätte oder der "Integritäät" eines Naturdenkmals urteilt. Liebe Loschwitzer, die ihr noch dort wohnt, liebe Johannstädter und liebe Neustädter, das habt ihr nun davon! Wer auf so einer renommierten „Liste" steht, darf keine Brücke bauen. Brückengegner aller Länder, vereinigt Euch! Auf die Barrikaden! Oder gleich auf eine eigene Liste der Brückenhasser.

Es ist ein echtes Dilemma. Unter Diktaturen schaffte man es nicht. Und auch in diesen ach so freien und demokratischen Zeiten wird das Werk wohl nicht gelingen. „Über sieben Brücken sollst du gehn!" Die achte ist zu viel des Guten! Die Bauherren im Rathaus können einem Leid tun. Gewählt für jeweils ein paar wenige Jahre, sollen sie so ein Projekt realisieren, ohne dass der Bauplatz von der „Liste" fliegt - und das im Gezerre der Parteien, die munter wechselweise regieren oder opponieren und immer alle Recht zu haben glauben.

Inzwischen kann jeder, der nur halbwegs mit digitaler Bildbearbeitung vertraut ist, die Brückenzeichnung in beliebigem Maßstab in ein Foto hinein montieren und veröffentlichen. Leider offenbaren diese gar erschröcklichen Bilder einen wunden Punkt der Konstruktion, der ein echtes Angriffsziel ist. Die Bogenenden und die Fundamente werden wohl des öfteren völlig überschwemmt werden, das Dutzend gespreizter Hühnerbeinchen auf den Elbwiesen dazu. Ob ihnen das guttun wird? An Eisschollen bei Hochwasser, Treibgut oder steuerlose Schiffe wagt man gar nicht zu denken. Ja, die Konstruktion hat einen Pferdefuß. An der Carolabrücke und am Blauen Wunder kann man die schlanken Pfeiler in Fließrichtung sehen: vernünftig und einzig richtig. Doch an den Fundamenten hat sich ja das Unesco-Komitee gar nicht gestoßen, wiewohl das wenigstens ein nachvollziehbarer Grund gewesen wäre. Nein, alleine schon das Erblicken einer Brücke ist offenbar eine Zumutung. Dabei geben Tausende eleganter Brücken den Weltstädten das Gepräge.

Mit der Absicht, der Waldschlößchenbrücke ihre positiven Seiten abzugewinnen, reichte ich zwei Vorschläge ein:

1. Ausbau des Hanges am Waldschlößchen als Erlebnispark (Hier)
2. Neigung der Brückenbögen und Verbindung durch eine Aussichtsplattform (Hier)

Es ist ein Jammer. Zusammen mit der Operette und dem Dynamostation ist die sächsische Residenz auch beim Brückenbau offenbar völlig überfordert. Dazu noch ohne einen Bürgermeister, der ein Machtwort sprechen könnte. August der Starke würde es getan haben - doch der hatte es leichter, denn damals gabs die „Liste" noch nicht.

 

Es ist doch alles ganz einfach..

warum kommt niemand darauf?...

Muss ich denn alles alleine ausdenken?..