Das Ungeheuer vom Postplatz

Dresden, den 21. Dezember 2005
in der SZ veröffentlicht am 31. Dezember 2005
(In Klammern die nicht gedruckten Passagen)

Betr. Großhaltestelle Dresdner Postplatz

Warum muss das sein?

Die absolute Sprachlosigkeit befiel mich, als mir nach einem Striezelmarktbesuch das Ungeheuer vom Postplatz begegnete. Ein paar Jahrzehnte habe ich eben dort in der dritten Etage gearbeitet, und so stellte ich mir vor, man hätte uns damals diesen furchterregenden Lindwurm vor die Nase gesetzt. Mag der Architekt die Metallfassaden nebenan im Blick gehabt haben - er übersah: diese sind dem Abriss geweiht.

Als bekennender Verfechter moderner Architektur bin ich doch entsetzt über dieses komplett entbehrliche Monster. Die in Mode gekommenen Verunglimpfungen der Tagebaugroßgeräte, die noch einen produktiven Sinn hatten, sind am Postplatz merkwürdigerweise verstummt. Herausgekommen ist ein Drachen, dem nur noch feuerspeiende Köpfe hinzu gefügt werden müssten, um in Ferropolis als Gespenst der nächtlichen Open-Air-Spektakel auftreten zu können. Der Pflege- und Erhaltungsaufwand ist wohl gänzlich hintenan gestellt worden. Die Durchfahrten für Feuerwehren mit Drehleitern, für Spritzenwagen und Schneeräumfahrzeuge offenbar stark eingeschränkt.

(Die Eingrenzung des Autoverkehrs wird vor dem Zentrum zu Staus führen. In der Grafittiszene reibt man sich schon jetzt die Finger. Von Randalen der Fußballverrückten ebendort ganz zu schweigen. Und den Menschen, den Passanten und Passagieren, Schulklassen und Reisegruppen wird wohl ein Bärendienst erwiesen, wenn sie darunter hin und her stolpern dürfen mit Kinderwagen und Fahrrädern, Koffern und Taschen.

Ob Canaletto seine Camera Obscura vor diesem Bildmotiv aufbauen würde, darf stark bezweifelt werden. Ist aber auch egal - heutzutage trägt sowieso jedermann beliebige Ansichten in Form von 6 Mio Pixel mit nach Hause.)

Als ich die Kosten für den stählernen Möchtegernriesen in der Zeitung las, glaubte ich erst, man hätte sich um eine Zehnerpotenz geirrt oder ich bräuchte eine neue Brille. Aber nein doch! Das Ding soll mehr als das neue Dynamostadion kosten! Leute, Leute - ihr müsst es ja ganz dicke haben. Von leeren Kassen kann offenbar keine Rede sein. Fragt sich nur: warum muss das sein?