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Uncle Siggs kleine Politik-Stunde

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Ladenöffnungszeiten
SZ vom 7. September 2000 zum Kommentar von Peter Weißenberg

Dresden, den 9. September 2000
Veröffentlicht SZ am 21. September 2000

 

 

Sehr geehrter Herr Weißenberg,

Ihr Kommentar zum Ladenschluss trieft geradezu vor Männlichkeitswahn, wie ihn sich nur unverbesserliche Machos leisten würden. Die von Ihnen vorgebrachten Argumente sind kalter Kaffee und enthalten nichts Neues. Doch der Reihe nach:

1. Ihnen scheint entgangen zu sein, dass es sich bei den betroffenen Gewerkschaften vornehmlich um die Vertretung von Verkäuferinnen handelt, egal ob sie Mitglied sind oder nicht. Allesamt junge und ältere Frauen, allein erziehende Mütter, Mädchen als Lehrlinge, Ehefrauen mit Familie, deren Arbeitszeiten Sie mit Ihren unpassenden Schlagworten, wie Fundamentalopposition, Katapultieren, Betonieren, Blockieren am liebsten auf alle Tag- und Nachtstunden verlegen wollen. Ich möchte wissen, ob Sie Ihre Frau oder Tochter um Mitternacht aus ihrer Verkaufseinrichtung alleine nach Hause kommen lassen.

2. In Ihrer Rage machen Sie die gesamte Bevölkerung Deutschlands zu 80 Millionen Verbrauchern, die allesamt nachts einkaufen wollen. Mindestens die Kinder und die Rentner sollten Sie abziehen, ebenso alle Kranken und vor allem alle Leute auf dem Lande, die sich hüten werden, nächtens Haus und Hof zu verlassen und wegen ein paar Fummel in die Städte zu rammeln. Möglicherweise gehören Sie zu den kinderlosen Großstadt-Singles, für die andere Stinos allzeit in Bereitschaft stehen sollen, falls Sie ein nächtliches Kaufbedürfnis befällt. Sie und Ihresgleichen möchten an jeder Ecke Tag und Nacht Diener und Mägde haben, die Ihnen die Nachtpizza und die vergessenen Zigaretten vorhalten.

3. Die vor einigen Jahren eingeführte Lockerung der Ladenöffnungszeiten hat bekanntlich nicht zu Neueinstellungen geführt. Insider wissen, dass im Gegenteil qualifizierte Fachverkäuferinnen nach und nach ausgemustert (Kaufland) und durch billigere ungelernte Pauschalkräfte ersetzt werden. Mit 30-Stunden-pro-Woche-Verträgen werden bis zu 60 Stunden Einsatz die Woche gefordert. Kein Wunder, dass sich Verkäuferinnen nicht mehr trauen, etwas zu sagen.

4. Es ist einfach dämlich, das Problem zum Gegenstand von Parteipolitik zu stilisieren, nur weil sich Bundeskanzler Schröder für die Erhaltung der jetzt geltenden Arbeitszeitregelung von Verkäuferinnen einsetzt. Es fällt auf, dass sich immer unbeteiligte Männer äußern, während die betroffenen Verkäuferinnen kaum zu Wort kommen. Deshalb tut es gut, dass sich mit dem Kanzler der profilierteste Mann für die Frauen einsetzt. Die von Ihnen angeknüpften Rundumschläge von Schlechtwettergeld bis Kündigungsschutz beweisen in der Sache gar nichts.

5. Mit Ihrem verwaschenen Hinweis auf Firmen der neuen Medien vergleichen Sie Äpfel mit Birnen, was Ihnen spätestens einleuchten müsste, wenn Sie mal einen Softwareentwickler mit einer Verkäuferin in Gedanken austauschen. Genauso sinnlos sind Vergleiche zu wahllos herausgegriffenen Berufsgruppen, die Ihrer Meinung nach die Nacht zum Tage machen sollen. Und die Gehälter, die Lebensplanungen und der Lebensstil von nachts arbeitenden Fernsehleuten, Zeitungsmachern, in Bereitschaft sitzenden Ärzten usw. sind von denen der Verkäuferinnen so weit entfernt, dass jeder Vergleich unzutreffend ist.

6. Der konfuse gesellschaftspolitische Anstrich, mit dem Ihr Elaborat überzogen ist, umfasst gerade das allgemeine Problem der Überflussgesellschaft nicht. Keine noch so lange geöffnete Ladentür ist geeignet, dem Bürger, der ebenso bedenkenlos wie beleidigend „Verbraucher" tituliert wird, die gesamte Warenflut gewinnbringend anzudrehen. Auch wenn die Sachen von noch so vielen Verkäuferinnen in noch so vielen Läden vorgehalten werden, immer in der Hoffnung auf mitternächtliche Käufer, wird es nicht gelingen, den Berg überflüssigen Zeugs abzubauen. C&A schließt gerade Filialen. Die Leute versuchen mit allen Kräften, sich dem durch die Werbung suggerierten Kaufzwang zu entziehen, weil sie sich den Gewinnen der Kaufhausketten in keiner Weise verpflichtet fühlen. Schließlich gibt es fürs Geld noch andere schöne Dinge des Lebens.

7. Für die paar Leute, die sich ganz up to date wähnen und unbedingt im Finstern kaufen, sich versichern, Aktien oder Konten bewegen wollen, steht mit dem Internet längst eine moderne Technologie zur Verfügung, bei der keine nächtlichen Diener und Mägde bemüht werden müssen und trotzdem Kaufsüchte befriedigt werden können. Die Kataloge der Versandhäuser werden außerdem millionenfach genutzt. Zudem haben nachts geöffnet Kinos und Gaststätten, Tankstellen und Bahnhöfe, Bordelle und Spielsäle, Diskotheken und Nachbars, wo sich Nachtschattengewächse aller Art treffen und auch diverse Kauftriebe ausleben können.

8. Die immer geringer werdende ostdeutsche Bevölkerung mit zurückgehenden Kinderzahlen und schließenden Schulen, mit ihren hohen Arbeitslosenprozenten, den niedrigen Löhnen und Renten, den fehlenden Lehrstellen und dem hohen Verschuldungsgrad ist der denkbar ungeeignetste Gegenstand für die Forderung nach längeren Ladenöffnungszeiten. Eigentlich fehlte in Ihrem Beitrag der Hinweis auf Amerika, der von andern so gern gebracht wird. Weil Sie keine amerikanischen Verhältnisse fordern, kann man die Hoffnung haben, dass Sie doch noch, so wie die meisten der 80 Millionen Deutsche, die Zustände hier im Grunde ganz erträglich finden; sonst wären Sie ja ausgewandert. Was aber für ein ominöser „echter Wandel" mit verlängerten Ladenöffnungszeiten erreicht werden soll, das müssen Sie mal gesondert erklären.

In der SZ vom 9. September 2000, Seite 24, melden sich endlich zwei Frauen zu Wort (Jutta Kempe und Elfriede Riecke), die unmissverständlich ihre Empörung zum Ausdruck bringen.

 

Es ist doch alles ganz einfach..

warum kommt niemand darauf?...

Muss ich denn alles alleine ausdenken?..